Barbara Lüdecke: Der Brotteller der reformierten Ratinger Gemeinde

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Gouverneur Gerard Demmer

 Zum 500. Jahrestag der Reformation stellte das Museum Ratingen unter dem Motto „Kirchenschätze: Lutherisch – Reformiert – Evangelisch“ die Geschichte der evangelischen Kirche in Ratingen und den angrenzenden Orten in den Mittelpunkt einer Ausstellung.

Brotteller, Adam Neukirch, Düsseldorf, um 1660, Evangelische Kirche Ratingen, Foto: Maik Grabosch©Museum Ratingen

Unter anderem wurde dort dieser Brotteller der reformierten Gemeinde Ratingen ausgestellt, dem schon seit einigen Jahren mein besonderes Interesse gilt.

Brotteller (Detail), Adam Neukirch, Düsseldorf, um 1660, Evangelische Kirche Ratingen, Foto: Maik Grabosch©Museum Ratingen

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Die Geschichte dieses Tellers war lange unbekannt. Viele Vermutungen, wie und wann der Silberteller nach Ratingen kam, wurden angestellt.

Die Inschrift lautet: „Gerardus Demmer van Neves Staet Ordinaris van India Oriental Als oock Gouvernor ende Directeur over de Provintie ende Bygeleggen Landen van Amboyna“.

Der Stifter dieses Tellers, Gerard Demmer, war also Gouverneur und Direktor der Provinz und umliegenden Länder von Ambon und somit ein hoher Beamter der Niederländischen Ostindien-Kompanie (Vereenigde Oostindische Compagnie, kurz: VOC).

Die Niederländische Ostindien-Kompanie (Nederländisch Vereenigde Oostindische Compagnie = VOC) wurde am 20.3.1602 von niederländischen Kaufleuten gegründet. Die VOC erhielt vom niederländischen Staat Handelsmonopole und Hoheitsrechte in Landerwerb, Kriegsführung und Festungsbau. Das Monopol konzentrierte sich vor allem auf den Gewürzhandel. Dazu gehörten Pfeffer, Muskat und ihre Blüte, Zimt, Nelken, Kaffee, Tee, aber auch Textilien, Opium und Porzellan sowie Gold und Silber.

Bis zu ihrem Untergang im Jahr 1798 fuhren ca. 4.700 Schiffe für die VOC auf denen fast eine Million Menschen befördert wurden. Viele Amsterdamer Bürgerhäuser und zahlreiche Meisterwerke Rembrandts und Vermeers sind den märchenhaften Gewinnen zu verdanken, den die VOC erzielte.

Gerard Demmer war einer der Beamten der VOC. Erstmals erwähnt ist sein Name, als er 1626 mit dem Schiff „Hollandia“ als „Assistent“ mit einem Jahresgehalt von 16 Gulden nach Batavia überfuhr.

Die „Hollandia“ verließ Zeeland am 22.5.1626 und erreichte Batavia, wie die indonesische Hauptstadt Jakarta damals hieß, am 14.12.1626. Batavia fungierte von 1619 an als Hauptquartier im asiatischen Handelsnetz der VOC.

Gerard Demmer erklomm die Karriereleiter innerhalb der VOC zügig: 1627 war er Sekretär in Banda mit einem Jahresgehalt von 40 Gulden. Die Banda-Inseln nahmen innerhalb der VOC eine Sonderstellung ein, denn nur hier wuchsen Muskatnüsse.

Nach einigen Jahren als „Koopman“ in der VOC wurde er „Opperkoopman“ und war damit verantwortlich für sämtliche Waren, die durch die Lager und Magazine in Batavia ein und ausgingen.

1639 war Gerard Demmer „Fiscaal van India“ und hatte damit eine Position inne, die man am ehesten als „Steuerbeamter der Staatsanwaltschaft“ bezeichnen kann.

1642, mit seiner Ernennung zum Gouverneur, bezog er das Kasteel Batavia, dort residierte er bis 1647 als Gouverneur von Ambon. In Biographien wird Gouverneur Demmer als aktiv und eifrig beschrieben, der aber von Freund und Feind zu Recht als Barbar bezeichnet wurde, der seinen wohlverdienten Ruhm durch den Missbrauch seiner Macht besudelte.

 

Als strenggläubiges Mitglied der Niederländisch Reformierten Kirche gehörte er viele Jahre dem Kirchenrat an und war ab 1651 Vorsitzender. In dem Buch „Het Indisch Sion: de Gereformeerde Kerk onder de Vereenigde Oost-Indische Compagnie [Hilversum 2002] kann man nachlesen, dass Demmers Meinung nach der Wohlstand der VOC auch von dem Umgang der Kirche mit anderen Religionen abhing. Während seiner Zeit als Gouverneur wurden die traditionellen Religionen gänzlich verboten, Opfer- und Kultstätten zerstört. Die Vernichtung der „Teufelshäuser“ und Reliquien waren für ihn die Voraussetzung für die Einführung des Christentums.

Zum Ende seiner Beamtenlaufbahn wurde Demmer die Kommandantur über die Retourflotte, bestehend aus einem Verband von fünf Schiffen, zurück in die Heimat übertragen. Sie verließ Batavia am 24. Dezember 1652. Als erste Flotte überhaupt wurde sie im März 1653 im „Fort de goede Hoop“, der  im Vorjahr unter Jan van Riebeck erbauten Versorgungs-Station in der Tafelbucht, mit Gemüse, Fleisch und Milch versorgt. Der Aufenthalt am Kap der guten Hoffnung dauerte vom 6. März bis zum 17. April. Die Flotte unter Admiral Demmer, der mit seiner Familie auf der „Parel“ reiste, erreichte Texel Mitte November 1653.

Nach der Rückkehr in die Niederlande kaufte Gerard Demmer für sich und seine Familie das Haus Goulden Klavierblad auf der Kaizersgracht in Amsterdam. Seine Familie, das waren: Ehefrau Catharina, geb. Wolfferts, die bereits 4 Jahre nach der Rückkehr in Amsterdam verstarb, seine Töchter Maria und Catharina, die Söhne Johann, Gerhard und Samuel.

Maria, die älteste Tochter, wurde um 1630 in Banda geboren und heiratete schon wenige Wochen nach der Rückkehr aus Batavia im April 1654 in Amsterdam den Kaufmann Isaak Verveelen. Er stammte aus einer Kaufmannsfamilie mit guten Verbindungen in die Neue Welt an. Sein Bruder Johannes gehörte zu den Gründern von Nieuw Harlem in Nieuw Amsterdam (New York). Maria und Isaak Verveelens Kinder verstarben alle bereits als Kinder, bzw. Jugendliche. Nachdem im Jahr 1679 Marias Ehemann und 3 Jahre später das einzig verbliebene Kind, die 4 jährige Catharine verstarben, verliert sich ihre Spur. Möglicherweise ist sie zur Familie ihres verstorbenen Ehemannes in die Neue Welt gegangen. In den Kirchenbüchern von Amsterdam ist ihr Tod nicht verzeichnet.

Gerard Demmers Sohn Johann war um 1641 in Batavia zur Welt gekommen. Nachdem ihm 1667 sein Anteil am mütterlichen Erbe in Höhe von 18.000 Gulden ausgezahlt wurde, ließ er am 9. April 1668 in Amsterdam ein Testament aufsetzen. Die Begünstigten waren seine Geschwister Maria, Gerard, Samuel und Catharina. Vier Tage später fuhr er als Unteroffizier auf der „Zuidpolsbrok“ von Texel nach Batavia. Es gibt keine Informationen über seinen weiteren Lebensweg, er muss aber knapp  zwei  Jahre  danach verstorben  sein. Denn  am 7. Mai 1670 empfingen seine Geschwister von der VOC 2.233 Gulden, 16 Stüber und 8 Pfennige für den noch ausstehenden Lohn und den Erlös aus dem Verkauf seiner Möbel und Kleidung.

Gerard und Samuel, die beiden 1648 und 1649 in Bata- via geborenen Söhne der Familie, verstarben unverheiratet und ohne Nachkommen im Alter von 35 bzw. 29 Jahren in Amsterdam. Die jüngste Tochter, Catharina, 1651 ebenfalls in Batavia geboren, heiratet 1683 den aus Bordeaux stammenden Kaufmann David Dochè. Nach ihrer Hochzeit verliert sich die Spur in Amsterdam. Vermutlich hat die Familie ihren Wohnsitz nach Bordeaux oder in die Neue Welt verlegt.

Gerard Demmer hatte als Gouverneur ein Einkommen von 350 Gulden und es gab strenge Vorschriften über den Rahmen, in dem die Angestellten der VOC privaten Handel treiben durften. Jedoch fanden sie alle illegal Möglichkeiten, diesen Rahmen zu überschreiten. Allein in den beiden Jahren vor seiner Rückkehr brachte Demmer eine Summe von 200.000 Gulden nach Amsterdam.

Gerhard Demmer selbst war in Amsterdam bis zu seinem Tod Ende April/Anfang Mai 1662 (die Beerdigung war am 5.5.1662) als Kaufmann tätig. Er galt als einer der reichsten Männer Amsterdams. Ein frommer Mann, intelligent und welterfahren, und trotzdem fiel er wenige Tage vor seinem Tod auf einen Scharlatan herein. Einen Italiener namens Borri, Wunderheiler und Alchemist, von dem das Gerücht umging, dass er den Stein der Weisen besaß und Gold herstellen konnte. Als Dank für die Offenbarung eines Geheimnisses stellte Gerard Demmer Franscisco Guiseppe Borri ein Darlehen in Höhe von 100.000 Gulden zur Verfügung. Die Erben versuchten später alles, dieses Geld zurück zu erlangen. Borri aber war zwischenzeitlich über Hamburg, Kopenhagen, Stockholm und Wien weitergereist. 1670 wurde er in Rom gefaßt und verstarb dort 15 Jahre später im Gefängnis. Obwohl der Hof van Holland Borri 1665 zur Rückzahlung verurteilte, sahen die Erben Demmer das Geld nie wieder.

Trotz dieses Verlustes war sein Vermögen, wie aus der Aufstellung der Nachlassverwalter hervorgeht, beträchtlich: Obligationen und Außenstände in sechsstelliger Höhe, Häuser,  Diamanten- und Perlenschmuck sowie wertvoller Hausrat.

 

Damit ist immer noch nicht erklärt, warum Gerard Demmer den Ratingern diesen Brotteller schenkte. - Aber endlich findet sich ein Testament, verfaßt in Amsterdam am 28. April 1662, das einen Hinweis auf die Herkunft des Gerard Demmer gibt. Er vermacht er der Armenkasse in „Neves“ in der Herrlichkeit Hardenberg im „Land van Berg“, seinem Geburtsort, 400 Reichstaler.

"Neves" lautet ja auch die Inschrift auf dem Teller. Aber jetzt heißt es "in der Herrlichkeit Hardenberg im Land van Berg".Ein Blick auf eine alte Landkarte bestätigt es: Ungefähr 20 km Luftlinie, östlich von Ratingen, liegt „Neves“. Heute bekannt als Neviges.

Im Stadtarchiv von Velbert finden sich Unterlagen aus früheren Forschungen, insbesondere die des Eduard Schulte. Zusammen mit den Informationen aus den Archiven in Amsterdam und Den Haag ergibt sich, dass Gerard „Demmer“ oder „auffm Dam“ ein Sohn der Eheleute Johann und Entgen auffm Dam in Neviges war und zwei Schwestern hatte.

Als weitere Bestätigung findet man in den Kirchenbüchern der reformierten Gemeinde Neviges Demmers Ehefrau Catharina und deren älteste Tochter Maria unter den Taufpaten. Damals wurden als Taufpaten überwiegend Verwandte oder sehr gute Freunde gewählt.

Im Kirchenarchiv von Neviges befindet sich auch eine Urkunde vom 24. November 1654, die endgültig die Herkunft Gerard Demmers aus Neviges bestätigt. Er vermacht darin dem Sohn seiner Schwester, als Schenkung unter Lebenden, das Haus, genannt den Dam im Ort, mit dem dazugehörigen Brauhaus neben dem Kirchhof in „Nevee“ in der Herrlichkeit Hardenberg, einschließlich der dazugehörigen Ländereien, die ihm, Demmer, erblich zugefallen sind.

Zusammenfassung des Textes:

Op 24 nov. 1654 compareert voor notaris Gerrit Steeman te Amsterdam Gerrard Demmer, gewezen Raad van Indië, gouverneur van Ambon en commandeur van de Oostindische retourvloot, die in 1653 in de Nederlanden is gearriveerd. De comparante verklaart, dat hij uit de bijzondere affectie, die hij toedraagt aan de zoon van zijn zuster, Hendrick Jaspersz. Oterslo, en uit andere overwegingen, hem daartoe moverende, aan zijn neef heeft geschonken als donatie inter vivos het huis, genaamd "den Dam ende Oort", met het daarbij horende brouwhuis, staande in het dorp Nevee beneden het kerkhof in de heerlijkheid Hardenberg, inclusief de ertoe behorende landerijen en erven, die hem, Demmer, "erfelijck toebehorende zijn". Voorwaarde is evenwel, dat zijn neef die goederen niet zal verkopen of vervreemden, tenzij uit hoogste noodzaak en mits hij geen andere goederen bezit om zich in dat geval mee te behelpen. De comparant wenst namelijk, dat in het andere geval genoemde goederen zullen vererven op zijn wettige kinderen en verdere nakomelingen. Conditie is ook, dat zijn "bestorven" zwager, Johannes Clemensz. van Langenberg, die bewoner en gebruiker van het huis etc. is, het zal mogen blijven bewonen en gebruiken, zonder ervoor iets te moeten betalen, voor een periode van twee jaar, ingegaan op 1 juni 1654 en aflopend op 1 juni 1656, op welke dag hij het zal moeten afstaan aan Hendrick Jaspersz. Oterslo. Comparant belooft aan iemand procuratie te verlenen om ten overstaan van het Gerecht van Hardenberg de genoemde donatie te vernieuwen.

 

In den Ratinger Taufregistern taucht der Name Demmer ebenfalls auf:

Gerard Demmer war am 18.9.1657 Taufpate bei Richter Philipp Vogels Sohn Gerhard. Der Taufeintrag lautet: „H. Philippi Vogelij Söhnlein Wolffgang Gerhard“ und die Taufpaten waren „Herr Obrist Wolffgang Ernst von Eller, Herr Gerhard Dammer von Amsterdam undt deß Kindeß Großmutter Elisabeth Grüters“

Man kann davon ausgehen, dass verwandtschaftliche Beziehungen zwischen Gerard Demmer und der Mutter des Täuflings, Catharina Grüters, bestanden. Denn Gerard Demmer war auch Namensgeber eines Neffen der Catharina Grüters: Gerhard Gruiters, der am 23.10.1646 in Harderwijk, in der niederländischen Provinz Gelderland, getauft wurde. Er war der älteste Sohn von Catharina Grüters Bruder, Johann Grüter.

 

Da die Inschrift des Tellers besagt, dass Gerard Demmer Gouverneur war, kann er  der Ratinger Gemeinde nur in der Zeit zwischen 1642 und 1647 geschenkt worden sein.

Es war ein sehr persönliches Geschenk. Denn obwohl Gerard Demmer viele umliegenden Gemeinden mit Geldspenden unterstützte (um nur Beispiele zu nennen: der Gemeinde Düsseldorf 500 Taler und der Bergischen Synode 1.000  Taler) ist in keiner anderen Gemeinde, auch nicht seinem Geburtsort Neviges, ein solcher Teller zu finden. 

Grund des Geschenkes könnte die Trauung von Philipp Vogels und Catharina Gruiters gewesen sein. Normalerweise fanden Trauungen am Wohnort der Braut statt. Da Catharinas Vater, Burghard Grüters, Ältester in der Ratinger Reformierten Gemeinde war, hätte die Trauung mit Sicherheit auch  hier stattgefunden, wenn nicht Ratingen bis zum Westfälischen Frieden 1648 eine sogenannte „Gemeinde unter dem Kreuz“, eine heimliche Gemeinde gewesen wäre, die keinen eigenen Prediger hatte.

Philipp Vogel und Catharina Grüters wurden daher von einem Prediger aus Düsseldorfer getraut und  man findet die Trauung in den Düsseldorfer Heiratsregistern unter dem 25. Juli 1642:  "Dominus Philippus Vogel mit der tugendsamen Jungfrau Catharine Grüters, Herrn Burchards Grüters sehlig gewesener Bürgermeister zu Rating, ehelich hinterlaßene Tochter in die h. Ehe eingesegnet worden"

 

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